Von Jürg Keller, Rheinfelden
Man soll eine Neujahrsansprache nicht auf die Goldwaage legen. Sie sind für schönes Wetter und baldiges Vergessen bestimmt. Aber als Zustandsmeldung für ein Gemeinwesen, das seine Zentrumsstellung im Fricktal bald an Stein verlieren wird (das Sisslerfeld wird vom Kanton als Entwicklungszentrum der Region gesetzt), können solche Ansprachen doch als Fundgrube für die herrschende Stimmung dienen.
Zum einen fällt der Verzicht auf prestigeträchtige Grossprojekte auf: Man hält sich an Bestehendes und will dieses erhalten. Dazu gehören die Sanierungen des maroden Bahnhofsaales und des noch marodenern Roberstenschulhauses. Dieses ist in den letzten Jahren mit seinen tröpfelnden Innenräumen zum eigentlichen Schandfleck Rheinfeldens geworden - alle diesbezüglichen Reklamationen prallten folgenlos am oder im Rathaus ab. Dass hier endlich eine Götterdämmerung stattgefunden hat, ist nur überfällig, aber nicht mehr lobenswert.
Erstaunlich ist aber das „Vergessen“ eines für die Attraktivität Rheinfeldens wichtigen Grossprojektes: Es geht um die Auszonung des „Chleigrüts“ (jetzt Gewebezone, beim Tunnel zum neuen Kraftwerk). Dieses Gebiet wurde als Kiesgrube, dann als Aushubdeponie genutzt und dürfte seine Wiederherstellung in den kommenden Monaten erleben – dies mit mehr als fünfjähriger Verspätung. Das Gebiet war auch schon vom Gemeindemmann als Standort eines Holcim-Kieswerkes vorgesehen, was dann die Gemeindeversammlung aber ablehnte. Jetzt möchte ein Verein von Naturschützern das Chleigrüt auszonen und als Naturfläche erhalten. Als Ersatz für den Gewerbebedarf könnte dabei das einst für eine Kantonsschule vorgeschlagene Baugelände (Autobahnausfahrt Rheinfelden Ost) dienen.
Was als Attraktivitätssteigerung zum „liebens -und lebenswerten“ Rheinfelden eigentlich einleuchten müsste, findet das deutliche Missfallen beim Ammann. Wohl deswegen wurde ein repräsentatives Diskussionsforum eingesetzt, das von einem von der Stadt bestellten Zürcher Fachbüro geleitet wird. Nach Verzögerungen, die wenig überzeugend mit Corona begründet wurden, fand die erste Sitzung vor einem Monat statt. Die zweite Sitzung darf wieder warten – sie ist ohne Not erst für Mai geplant – und für eine dritte reicht es womöglich erst 2023. Das riecht nach Methode mit genauen und nicht offengelegten Zielvorstellungen.
Wenn eine einfache Frage mit einem komplizierten und in die Länge gestreckten System beantwortet werden soll , dann sind schlaue Umwege und Absichten zu befürchten. Diese werden fachlich als „versteckte Agenda“ bezeichnet, vordergründig nennt man sie aber „demokratische Prozesse“. In dieser Situation muss es aber heissen: Misstrauen ist des Bürgers erste Pflicht. Es geht hier immerhin um eine einmalige Chance, eine grosse Fläche weitsichtig zu bewahren, und sie nicht der bekannten und kurzgedachten Geldstapelei Rheinfeldens zu opfern.